Unter dieser Rubrik möchten wir uns mit Ihnen in unregelmäßigen Abständen Zeitthemen nähern und sie mit Stellen der Bibel verknüpfen – in mitunter unkonventioneller Deutung. Aber immer nah am Zeitgeschehen und damit auch an uns Menschen. Bibel hautnah eben.
Lk 22,24-30
Wer ist der Größte – Vom Herrschen und vom Dienen
Angeber gibt es zu allen Zeiten. Ebenso die Reaktionen, die sie hervorrufen, regional kann das sehr unterschiedlich sein. „Er denkt, er sei der Käs, dabei stinkt er bloß.“ – so formuliert man das im Allgäu. „Er denkt, er sei der Schönste, Größte und Klügste“ kenne ich aus meiner Studienzeit als Urteil über den ein oder anderen Kollegen. Die Idee, der Größte sein zu wollen, scheint offenbar zeitlos und ubiquitär zu sein. Sie begegnet uns heute – 2000 Jahre alt – im Evangelium. „Es entstand unter ihnen ein Streit, wer von ihnen wohl der Größte sei.“
Wie pubertär ist das denn, würde man heute sagen. Und damit dem Zeitgeist einen Entwicklungszustand zuschreiben, den er noch lange nicht hat. Der Reichste, der Mächtigste, der Klügste, die Schönste, die Einflussreichste sein zu wollen, ist offenbar zeitlos. Zu allen Zeiten soll das den Wert schaffen, den diese Person nicht in sich fühlt, weil es ihn in der frühesten Zeit seines Lebens nicht bekam. Der „Glanz im Auge der Mutter“ bei der Fütterung und Berührung des Babys ist wunderbar und wertschaffend, wenn er fehlt, beginnen die frustranen Fehlversuche, sich den Wert anderweitig zu holen. Diese Notfalllösung beginnt schon im 1. Lebensjahr und zieht sich durch den ganzen Rest: sich als der Größte präsentieren zu wollen. Koste es, was es wolle!
Als positive Alternative stellt Jesus dem das Dienen gegenüber. Was aber, wenn das Dienen nur dazu dient, der größte Diener zu werden – also doch wieder der „Größte“ zu sein? Und das vielleicht auch nur mit dem Vorsatz, dann im Himmel mit Macht belohnt zu werden, wie es Jesus ja selbst hier ankündigt?
Wir sehen, selbst mit dem Dienen ist es nicht so einfach. Wer kann schon zweifelsfrei unterscheiden, ob das Dienen aus dem Herzen kommt oder die Folge eines Helfersyndroms ist, das aus einem Wertedefizit kommt.
Was Jesus mit seinen Worten auf jeden Fall deutlich macht, ist, dass es gut ist, mal „unten“ gewesen zu sein, bevor man „oben“ ist. Weil man dann weiß, wie es unten ist und sich mit ein bisschen Glück oben anders verhält. Und Jesus macht deutlich, woran man echtes Dienen erkennen kann, nämlich an dem, was es kosten darf. Viele Menschen, nicht nur die Heiligen, sind dafür ein gutes Beispiel! Sie zeigen:
Gutes Dienen und echte Größe erweisen sich im Tun! Und sie erweisen sich gerade darin, dass es für sie kein oben und unten gibt, in dem, was sie tun. Wie Jesus, als er sein Leben hingab für seine Freunde, die er nicht mehr Knechte nannte. Das ist reifes Menschsein, das ist auch die göttliche Existenz innerhalb der Trinität und das ist das, wohin hierarchische Systeme nie kommen, weil sie vom oben-unten leben. Im Reich Gottes soll es anders sein, d.h. da muss sich keiner mehr Sorgen um seinen Wert machen – weil es dort kein oben und unten mehr gibt.
Das macht wohl den Unterschied aus zwischen den Großen und denen, die nur groß sein wollen: Die Antwort auf die Frage, wem ihr Handeln dient: den Menschen. Und wem Sie ihre Größe verdanken: dem Glanz im Auge Gottes, wenn er auf sie schaut, der immer ergänzen kann, was Mütter und Väter nicht – oder nicht ausreichend – geben konnten. Wenn man ihn denn lässt!