Bibel hautnah
Unter dieser Rubrik möchten wir uns mit Ihnen in unregelmäßigen Abständen Zeitthemen nähern und sie mit Stellen der Bibel verknüpfen – in mitunter unkonventioneller Deutung. Aber immer nah am Zeitgeschehen und damit auch an uns Menschen. Bibel hautnah eben.
Mt 7,1-5: Der Splitter im Auge des anderen trifft den Balken im eigenen.

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Wenn er ihn denn treffen würde! Dann wäre schon viel geholfen. Leider dient der Splitter im Auge des anderen, dessen Schuld, dessen Defizit, ja gerade dazu, dem eigenen Defizit, der eigenen Schuld nicht begegnen zu müssen. Was Jesus schon vor 2000 Jahren so klar schilderte, hat heute einen Namen bekommen: Abwehrmechanismus. Abgewehrt werden muss alles, was innerpsychisch bedrohlich ist: Weil Strafe droht, weil es den Wert kostet oder die Beziehung. Die Gründe sind vielfältig, letztlich läuft es bei Kindern auf die beiden Grundängste hinaus: die Ohnmacht bei bedrohender Gewalt oder Beziehungsverlust. In der Reihenfolge! Lieber noch geprügelt als verlassen zu werden.
Das setzt sich fest und bringt sich im Erwachsenenleben immer wieder ins Spiel. Da ich nicht „böse“ sein darf (wegen der befürchteten Folgen), muss es der andere sein, müssen Dinge umerklärt werden. So wird aus dem eigenen Faschismus plötzlich der Fremde ein Nazi und aus einem Angriffskrieg eine Verteidigungsaktion. So wird das Opfer zum Täter und der Täter zum Opfer. Wenn´s dumm geht, völlig unbewusst. Und so leider oft unkorrigierbar!
Die Lösung Jesu setzt an der Wurzel an: bei mir selbst. Wenn ich meine -eigentlich kindliche – Angst vor Strafe oder Verlust anschauen, aushalten und zurücklassen kann und damit auch zu meinen Defiziten stehen lerne, brauche ich keinen Abwehrmechanismus mehr (oder wenigstens deutlich weniger). Noch besser: dann höre ich auf, den anderen zu verurteilen und kann ihm sogar noch zum Helfer werden: „Zieh zuerst den Balken aus Deinem Auge, dann kannst du zusehen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen.“ Natürlich auch der Schwester!
Dann wird aus moralischer Verurteilung Hilfe für den anderen, ein wahrhaft himmlischer Austausch schon auf der Erde. Wie unser Gründer, P. Jules Chevalier schon schrieb: „Wenn Gott ein „Werk“ will, macht er aus Hindernissen Mittel zum Ziel.“ Das schönste Werk Gottes ist der Mensch – trotz aller Macken, Splitter und Balken. Let´s go!